Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Russisches Bier

Wenn einer eine Reise tut ...

"Na, der Rainer, auch wieder im Land? Wo warst du denn letzte Woche beim Preiskegeln?"

"Servus Jürgen. Du, erst mal ein Bier. Das hab ich vielleicht vermisst!" Rainer gab dem Wirt einen Wink.

"Wieso? Wo warst du denn nun?"

"Na, in Russland. Das ist vielleicht ein reiches Land, sage ich dir! Gas, Strom, Wasser im Überfluss. Und Gold, Gold! Gibt nichts, was nicht vergoldet ist."

"Tatsächlich? Was hast du dir denn angeschaut?"

"Moskau und St. Petersburg. Meine Frau wollte da mal hin. Eine Woche Studienreise, exklusives Angebot bei Lidl. St. Petersburg soll ja die europäischste aller russischen Städte sein. Aber ... darüber kann man sich ja streiten. Allerdings sauber ist es dort, also auf den Straßen und Plätzen. Unglaublich sauber! Dauernd wird gefegt. Aber zum Beispiel die Schrift! Auf dem Visum stand mein Name mit P vorn. Stell dir vor, P statt R! Einen Strich gespart, die Russkis!"

Jürgen lachte. Dann fragte er: "Soll aber so richtig schön sein, sagt man. Hast du das Bernsteinzimmer gesehen?"

"Bernsteinzimmer? Das ist doch bloß nachgemacht, das Original ist doch verschollen. Ich fahre doch nicht um die halbe Welt, nur um mir eine Kopie anzuschauen. Ah, mein Bier." Er nahm einen tiefen Zug.

"Was gab es denn dort zu trinken?"

"Also, russisches Bier ist schon ... na, anders. Kann es nicht richtig beschreiben. Und zu essen - immer diese Suppen, und dann so komische Kuchen als Nachtisch. Einmal waren es so eine Art Pfannkuchen, mit einem Mus dabei. Meine Frau meinte, das seien Heidelbeeren oder so etwas, aber es waren eindeutig Zwetschgen. Und wenn man die Pfannkuchen zerrissen hätte, wäre es noch ein gescheiter Kaiserschmarren gewesen. Aber zum Glück gab es ja auch MacDonalds."

"Und wie hat es deiner Frau gefallen?"

"Och, die war begeistert. Shoppen, kennst ja die Frauen. Mara, Zara, wie sie alle so heißen. Dieses Kaufhaus, dieses ... GUM oder PYM oder wie es heißt, in Moskau. Kaufrausch pur. Meins ist das ja nicht so recht, aber so war sie aufgeräumt. Und wenn eine Führung war, dann hat sie wie wild fotografiert. Ich konnte mich ganz aufs Wesentliche konzentrieren."

"Das Wesentliche?"

Rainer schmunzelte und trank einen tiefen Schluck. "Na ja", sagte er dann verträumt, "man hat dann ja mal geguckt, nach Wodka und so. Dass der vorn mit B geschrieben wird, hatte ich bald raus. Dabei dachte ich, das Wort ist aus dem Russischen. Ich sag's dir, seltsame Sprache!"

Wieder lachten sie, beide, verständnisinnig, und prosteten sich zu. Rainer seufzte tief auf und lehnte sich zurück.

"Nur das mit der Sauberkeit, das muss man ihnen lassen, das haben sie echt drauf. Allerdings ist es laut. Da können sie noch was lernen." Er trank noch einen Schluck und hielt sein Glas gegen das Licht.

"Endlich wieder Ruhe", sagte er dann, "keine Horden von Chinesen mehr. Stell dir vor, die werden in Bussen herumgekarrt, und dann tun sie nichts anderes als die Regale leer kaufen oder fotografieren, als ob sie zu Hause nichts zu sehen hätten."

"Was fotografieren sie denn so?"

"Frag lieber, was sie nicht fotografieren! Extra wegen denen ist in manchen Räumen Fotoverbot, damit mal was vorangeht. Aber ich bin da natürlich schlauer." Er zwinkerte. "Wenn da Fotoapparate verboten sind, nehme ich einfach mein Smartphone. Dass ich das dabei hab, ist schließlich normal. Und ganz unauffällig. Meine Frau hat mal versucht, mit ihrem IPad zu fotografieren, aber da kam die Aufsicht sofort dazwischen. Und die blaffen einen ganz schön an, kann ich dir sagen. Keinen Humor. Keinen Respekt. Russen halt."

"Na ja, wenn es verboten ist?", warf Jürgen ein.

"Verboten! Die sollen doch froh sein, dass wir kommen! Wir bringen Devisen, harte Euros! Darauf sind sie nämlich echt scharf."

"Wie steht denn der Rubel so?"

"Ach, so etwa eins zu siebzig. Aber wenn du mit Euro zahlst, ist es nicht ungeschickt. Die runden dann."

"Auf oder ab?"

"Na, so, dass es glatte Eurobeträge gibt, was sonst? Münzen wollen die möglichst keine."

"Hmm", der Kegelbruder dachte nach, "aber dann zahlst du doch meistens drauf!"

"Was? Nein, nein. Da bin ich schlauer. Hierzulande lernt man ja schließlich rechnen. Die Russen - Kultur haben die ja eher wenig. Die Kirchen sind knallbunt, und an Gemälden haben sie Holländer und Italiener und so. Wenig eigenes, und wenn, dann kennt man die Maler gar nicht."

"Ja, richtig, da soll doch der 'Verlorene Sohn' von Rubens hängen! Hast du den gesehen? Ist er wirklich so beeindruckend?"

"Äh ... ja, richtig, den haben wir gesehen. Aber - es stand Rembrandt dran, sogar in richtigen Buchstaben, komisch, nicht? Und - ich sage dir, das Zeug ist alles dermaßen altersdunkel, also richtig schön ist das nicht. Sollten ihre Bilder mal besser pflegen, finde ich! Und stell dir vor, da gibt es ein Zimmer, da hängen die Wände komplett voll mit Gemälden, keine freie Stelle dazwischen! Es heißt, dass die Bilder nach Maß gekauft worden sind, damit es ausgeht. Kam mir so vor, wie mein Regal im Flur, wo ich dicht an dicht Bücher reingestellt habe, damit man die alte Tapete dahinter nicht sieht. Da hab ich doch damals die Flohmarktkiste günstig aufgekauft, weißt du noch?"

Der Kegelbruder sah nachdenklich zur Theke hinüber, über der alte Blechwerbeschilder so dicht hingen, dass man die Wand nicht sah. Dann fragte er: "Und was hat dich am meisten beeindruckt?"

"Hmm, lass mich nachdenken. Vielleicht ... die U-Bahn."

"Ja, richtig, die Bahnhöfe sollen ja fast wie Paläste sein!"

"Ja? Na ja, sauber schon, und Marmor, Gold und Lärm. Lärm, sage ich dir! Ne, ich meinte eher, die Tarife sind verflixt günstig. Da kann man sich hier noch was abgucken."

"Und dafür hast du die weite Reise gemacht? Ist das nicht ein bisschen frustrierend?"

"Na ja, jetzt kenne ich Russland, jetzt kann ich mitreden. Das ist das wichtigste. Nicht so wie die Chinesen, die meinen, sie könnten Europa in drei Tagen kennenlernen. Wirt, noch ein Bier!"

© Brigitte Hutt 2018

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