Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

Home
Datenschutzerklärung
Impressum
Texte
Dialog
Fotogalerien
Reise nach Afrika?

Frau Schmidt reist nach Afrika

Zwanzig Jahre lang hatte sie ihre Patenkinder unterstützt, zuerst den Bajiru, dann die Amelé, und jetzt war auch die schon fast erwachsen. Jetzt wollte sie endlich, endlich ihren Traum wahr machen und nach Afrika reisen, ihre Patenkinder besuchen. Sie hatten ihr immer brav Briefe geschrieben; bis zum heutigen Tag bekam sie von beiden Geburtstagsgrüße, aber was ist schon ein Pflichtbrief? Da stand drin, dass es ihnen gut ginge, dass sie brav lernten oder arbeiteten, dass sie hofften, es ginge auch ihr gut, und sie wünschten ihr das Allerbeste. Fertig. Die Fotos, die sie an der Wand hatte, zeigten einen kleinen schwarzen Jungen von vier Jahren und ein kleines schwarzes Mädchen von drei Jahren. Wie lange das her war! Aber nun würde sie sie bald sehen.

Frau Schmidt prüfte ihren Kontostand und war zufrieden. Dann ging sie ins Reisebüro. Gern stelle man ihr eine Reise nach Schwarzafrika zusammen, erfuhr sie, welche Route dürfe es denn sein? Nairobi, Mombasa, Badestrand und Safari? Mit Ausflug zum Viktoriasee und Kilimandscharo? Nein? Ach so, Togo. Nun, Togo gab nicht viel her, touristisch, vielleicht doch eher Elfenbeinküste? Nein? Nun ja, die Beraterin klickte und tippte eifrig im Computer herum, Togo, Kolonialerbe und Voodoo, auch nicht zu verachten. Allerdings sei das Land klein, das wisse die Kundin ja, und fernab der großen Touristikgebiete. Aber das habe ja auch seinen Reiz. Lomé, das sei die Hauptstadt. Wie bitte? Kara? Das liege ein gutes Stück abseits, und da sei wirklich nichts los, und die Hotelsituation, die Beraterin tippte und klickte und runzelte die Stirn, nun ja, was die Kundin denn da wolle? Jemanden besuchen? Oh, hm, die Finger der Beraterin schwebten bewegungslos über der Tastatur. Ihr Gesicht wurde ein wenig verschlossener. Ob die werte Kundin schon mal daran gedacht habe, sich an das Konsulat zu wenden? Oder an das Auswärtige Amt? Hier sei man ein ganz normales Reisebüro, man verkaufe Urlaub, nichts sonst.

Frau Schmidt war etwas enttäuscht. Aber sie bedankte sich höflich und ging erst einmal nach Hause. Konsulat Togo - das stand sogar im Telefonbuch. Frau Schmidt fasste sich ein Herz und rief dort an.

Eine höfliche Männerstimme erklärte ihr, dass man keine Reisen organisiere, sich aber gern um Visa kümmere. Ob sie auch schon an die Impfungen gedacht habe? Im Internet wäre eine Liste der empfohlenen Impfungen abrufbar. Und Ihr Reisepass, der sei gültig? Und in welcher Jahreszeit sie denn reisen wolle? Winterhalbjahr sei für Europäer bekömmlicher.

Frau Schmidt schwirrte allmählich der Kopf von den vielen Informationen, die sie erhielt, obwohl sie sie gar nicht wollte. Sie gestand dem höflichen Konsulatsmitarbeiter, dass sie nur ihre Patenkinder besuchen wollte, ob das denn so schwierig zu organisieren sei. Nein, sicher nicht, kam die Antwort, aber man müsse bei Auslandsreisen natürlich gewisse Formen einhalten, und die Gesundheitsvorsorge sei ja nur in ihrem Sinn. Und da ja auch gewisse Versicherungen nötig seien, müsse da eine professionelle Reiseorganisation her, sonst könne man ja für nichts garantieren. Das sei ja auch im Sinn der Patenschaftsorganisation, das sehe sie sicher ein.

Ja. Frau Schmidt bedankte sich und dachte nach. Dann kam ihr die Erleuchtung. Die Patenschaftsorganisation, die musste ihr helfen können. Sie schlug den Ordner auf, in dem sie die Briefe der Patenkinder wie auch der Organisation aufbewahrte. Da stand die Adresse, auch eine Telefonnummer. Eifrig wählte sie.

Ein Automat informierte sie, dass es in ihrer Stadt kein Büro der Firma mehr gebe, sie möge im Hauptstadtbüro anfragen. Die Nummer sei ...

Frau Schmidt hörte sich die Ansage noch einmal an und notierte die neue Telefonnummer. Doch auch dort hatte sie kein Glück, denn die Bürozeit war seit 15 Minuten vorbei.

Sie seufzte tief. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie beschloss, zuerst einmal einen Spaziergang zu machen, am besten in der Nähe des Bahnhofs, damit sie zumindest beim Betrachten der Fernzüge ein wenig ihre Reiselust bedienen konnte. Eine ganze Weile ging sie einen schmalen Weg am Bahndamm entlang und stellte dabei nur fest, dass das weder schön noch hilfreich war. Also bog sie ab in einen kleinen Grünstreifen, der zu ziemlich heruntergekommenen Mietskasernen führte. Nein, das Bahnhofsviertel war einfach nur zweckmäßig, oder vielleicht nicht einmal das, es wirkte so ... so vergessen, verlassen.

Sie sah sich nach einer Bank um. Da waren zwei, aber eine Gruppe junger Männer hatte sie belegt. Sie redeten wild durcheinander in einer fremden Sprache, und sie waren - schwarz.

Frau Schmidt blieb unschlüssig stehen. Was für eine Sprache war das? Über diese Frage hatte sie noch nie nachgedacht. Ihre Patenkinder schrieben immer in einer Art Schulfranzösisch mit einigen deutschen Sätzen, wobei sie nicht wusste, wer ihnen die beigebracht hatte. Sie selbst hatte immer auf Französisch geantwortet und war recht stolz gewesen, ihre Sprachkenntnisse damit zu trainieren. Aber die Afrikaner hatten ja sehr viele Sprachen. Was sprach man in Togo, außer Französisch?

Einer der Farbigen hatte gemerkt, dass er und seine Freunde beobachtet wurden, und hatte die anderen wohl auf Frau Schmidt aufmerksam gemacht. Das Gespräch auf den Parkbänken verstummte nach und nach, und alle schauten zu ihr her. Frau Schmidt wurde es ganz seltsam zumute.

Schließlich fragte einer der jungen Männer: "Kann wir helfen?"

Frau Schmidt war gerührt. Sie antwortete: "Ach, nein. Oder, ja. Was ist denn das für eine Sprache, die Sie sprechen? Untereinander?"

Die Männer wechselten erstaunte Blicke, dann antwortete ein zweiter: "Hausa. Sprache in Westafrika. Ist Heimat."

"Oh ja!", freute sich Frau Schmidt. "Togo?"

Einige der Männer schüttelten den Kopf. "Nigeria", antwortete der erste Sprecher. "Aber Togo auch Hausa. Cosme ist Togo."

"Cosme?", fragte Frau Schmidt verwirrt.

"Freund", antwortete der Mann, "ist krank."

"Oh!" Frau Schmidt überlegte. "Kann ich ... kann ich etwas für ihn tun? Oder für Sie?"

Die Männer wechselten erneut Blicke. Schließlich sprach ein anderer: "Kann helfen, Doktor reden? Ist, äh, difficulte."

"Schwierig", übersetzte Frau Schmidt. "Sie meinen, Sie können jemanden brauchen, der für Sie mit einem Arzt redet?"

Mehrere nickten, einige lächelten sie an.

"Wo wohnen Sie denn? Und wo wohnt Ihr kranker Freund?"

Sie wiesen auf die Mietskasernen im Hintergrund. "Unterkunft", meinte einer. Frau Schmidt wurde plötzlich einiges klar.

"Sie meinen, Sie sind alle ... Geflüchtete?"

Die Männer nickten, die Gesichter wieder verschlossen. Frau Schmidt murmelte: "Alles Gute. Alles Gute." Dann nickte sie und wandte sich zum Gehen.

Aber das Gespräch ließ sie nicht los. Noch beim Zubettgehen sah sie die ernsten Gesichter, die erwartungsvollen Blicke vor sich. Aber was hätte ich tun können, fragte sie sich. Dann schlief sie ein.

In der Nacht träumte sie von den jungen Männern. Bajiru war bei ihnen. Sie erkannte ihn genau, und er winkte ihr zu, und ringsumher standen Palmen. Frau Schmidt trug ein langes buntes Kleid. Sie lief auf die Männer zu und rief: "Sie brauchen natürlich Hilfe. Mache ich gern."

Dann wachte sie auf und beschloss, erst einmal ihre Wohnung zu putzen. Das brachte sie immer auf andere Gedanken.



© Brigitte Hutt Herbst 2019

zurück