Momentaufnahme
Manchmal stelle ich mir vor, unsere Erde ist ein Kaufhaus. Angebote im Überfluss, Selbstbedienung, Zahlen mit Kreditkarte am Kassenterminal. Gewühl. Schnäppchenjagd. Und mitunter gehen uns unsere Begleitpersonen dabei verloren. Zuerst merken wir das gar nicht, doch irgendwann fehlt etwas. Aber für eine Weile sind wir zu abgelenkt.
Doch dann hören wir die Durchsage: "Der kleine Friede möchte an der Information abgeholt werden. Der kleine Friede möchte an der Information abgeholt werden."
Hoppla, wie lange ist er denn schon nicht mehr an unserer Seite? Wir schauen uns um, und plötzlich überläuft es uns eiskalt. Wir haben den Frieden verloren.
Was hat die Stimme gesagt? An der Information abholen? Wir schauen uns um und merken zum ersten Mal, dass es dafür keine Ausschilderung gibt, keinen Hinweis. Wo mag sie sein, die Information?
Nun, fragen wir das Personal. Wir schauen uns um und merken zum ersten Mal, dass es zwar wunderbare moderne Self-Service-Kassen gibt - aber gar kein Personal! Niemand, den man etwas fragen könnte. Sorgfältig mustern wir die Umgebung. Zahlreiche Ausstellungsflächen, einige schon etwas heruntergewirtschaftet, andere noch attraktiv, aber dafür sehr bedrängt von Kunden, von denen keine und keiner den oder die andere zu beachten scheint, alle suchen nur nach dem, weswegen sie unterwegs sind. Nach Wunscherfüllungen, Lebensträumen, Besonderheiten.
Wir gehen suchend weiter durch das Weltkaufhaus. Kurz werden wir abgelenkt, denn wir passieren gerade einen ausgedehnten Wald. Grün, duftend, voller Vogelgezwitscher, einfach schön. Tief atmen wir durch und denken, dass es doch so viel Schönes in unserer Welt gibt, und eigentlich fehlt uns doch nichts.
Was ist denn dort hinten los, woher kommt der Lärm? Waren das Böller? Oder ... Schüsse mit scharfer Munition? Ach was, kann gar nicht sein, doch nicht hier bei uns.
Wieder hören wir die Durchsage, jetzt etwas undeutlicher: "Der kleine Friede möchte an der Information abgeholt werden. Der kleine Friede möchte an der Information abgeholt werden."
Also gut, reißen wir uns zusammen und suchen die Information. Als wir wieder nach einem Hinweis irgendeiner Art Ausschau halten, werden wir plötzlich angerempelt. He, was soll denn das? Schmutzige, ausgemergelte Menschen, in Lumpen gekleidet, Kinder auf dem Rücken oder an der Hand, in den Gesichtern Angst, Schrecken, Hunger, Verzweiflung. Unwillig treten wir ein paar Schritte zurück. Was soll denn das nun wieder? Müssen die uns stören? Die haben doch sicher keine Kreditkarte, also was wollen sie hier?
Und wieder diese bedrohlichen Geräusche, die sich anhören wie Schüsse, jetzt lauter, wohl näher. Schreie in der Ferne. Sind das Rauchwolken da oben?
Lautsprecher knattern. "Achtung, Achtung, der kleine Friede möchte ..." Knattern, Rauschen, "abgeholt werden. Der ..."
Schüsse, Rauchwolken, Schreie. Und dann: Nichts mehr. Totenstille. Ladenschluss? Und wir haben ihn noch immer nicht abgeholt, unseren Begleiter.
© Brigitte Hutt 2025