Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Nur ein Stück Holz

Arm-selig

Gedämpftes Licht. Die Gemeinde umstand murmelnd und stirnrunzelnd das Arrangement der Weihnachtskrippe. Einige schüttelten unwillig den Kopf und gingen in eine Bankreihe, andere kamen neu zu der Gruppe hinzu. Die Stimmung, das spürte man schon beim Eintreten, war alles andere als weihnachtlich, und es war doch Christmette, für viele der Höhepunkt des Festjahres, Feier der Geburt des Gottessohnes, wohl zu der halben Nacht.

Ein Glöckchen kündigte die Ankunft des Pfarrers an. Schnell suchten alle Herumstehenden Plätze in den nächsten Bänken. Erstaunlich voll waren die vorderen Reihen nun, sonst saßen ja immer alle so weit hinten wie möglich, aber nach dem Glockenton war für die, die noch an der Krippe gestanden hatten, keine Zeit mehr gewesen, ihre üblichen Plätze aufzusuchen.

Der Pfarrer zog ein, zwei Jungen und zwei Mädchen in weißen Gewändern trugen Kerzen und Weihrauch vor ihm her, die Orgel stimmte ein letztes Adventslied an. Tauet, Himmel, den Gerechten.

Die Eröffnung der Liturgie nahm den gewohnten Verlauf, aber dann trat der Pfarrer zum Mikrophon und breitete die Hände aus, schweigend. Eine Weile musterte er seine Gemeinde, die ihn erwartungsvoll ansah. Dann fing er an zu sprechen.

"Schwestern und Brüder. Wie freue ich mich, euch so zahlreich hier vorzufinden, hier, am Tisch des Herrn und - an seiner Krippe."

Er blickte zur Seite, wo der kleine Stall stand, gezimmert aus rohem Holz, ausgelegt mit Stroh, bekrönt von einem Stern, der durch ein verborgenes Lämpchen hell strahlte.

Der Pfarrer fuhr fort: "An seiner Krippe. Aber, ihr seht es, vor allem die erfreulich vielen in den vorderen Bankreihen, der Stall ist leer. Es fehlt die Idylle, die wir gewohnt sind, an der wir uns Jahr für Jahr erbauen und freuen. Nicht Maria, nicht Joseph, kein Tier, keine Krippe, und - kein Jesuskind. Gottes Sohn ist nicht hier."

Erneut machte er eine Pause und sah die Menschen an. Ein Kind fing an zu weinen. Der Pfarrer lächelte und sagte: "Kein Grund zum Weinen. Gottes Sohn nicht hier? Oh nein, er ist mit allen, die mit ihm sein möchten. Vergessen wir das nie! Wo zwei oder drei, und schon gar, wo 100 in seinem Namen beisammen sind, da ist er! Ist er mitten unter ihnen!"

Der Pfarrer sah in unwillige Gesichter. "Ihr Ungläubigen", sagte er leise, traurig, "ihr braucht Puppen, um an ihn zu glauben? Ihr müsst etwas zum Anfassen haben, wie der ungläubige Thomas, dessen Geschichte ihr vielleicht noch kennt?"

Er seufzte. "Ihr habt es in der Zeitung gelesen", fuhr er fort, "und ich fürchte, etliche von euch sind deshalb gekommen, aus Neugier. Nun, das ist nicht schlimm, Gott Vater und Gott Sohn heißen euch alle willkommen, da bin ich sicher. Ich jedenfalls tue es. Also, ihr habt sicher alle gehört oder gelesen, was passiert ist. Ein paar Gemeindemitglieder haben mich gebeten, die Krippe, die leere Futterkrippe, ausleihen zu dürfen für eine Adventsfeier. Sie wollten sie als Symbol der Erwartung in den Mittelpunkt stellen, und das auch noch mitten im Wald. Es kam, wie die unter euch, die gegen diesen Wunsch heftig protestiert haben, befürchtet hatten: Das kleine Holzgerüst, Materialwert ein paar Euro, kam abhanden.

Was tun? Das neu geborene Gotteskind auf den kalten Kirchenboden legen? Kommt nicht in Frage, so sahen es meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich habe mich sehr gefreut, dass sie so mit dem Kind fühlen, aber ich habe mich geweigert, eine neue Krippe zu kaufen. Bis zuletzt habe ich gehofft, dass der Aufruf in der Zeitung und in unserem Schaukasten, die Krippe zurückzugeben, die doch jemandem zustehe, der sonst nichts hat, dass der zu einem Echo führe. Nichts geschah. Aber ich habe vollstes Vertrauen, dass die Krippe nun bei jemandem ist, der auch ihrer bedarf, warum auch immer. Und daher sei sie ihm gegönnt.

Und wir hier? Ihr, die ihr gekommen seid, um die Ankunft des Herrn zu feiern? Ich habe euch reden gehört. Wir haben einen Anspruch auf die Krippe, habt ihr gesagt, das ist unerhört, habt ihr gerufen.

Unerhört? Unerhört waren die Bitten Marias und Josephs, als sie in Bethlehem eine Unterkunft suchten. Anspruch? Einen Anspruch der hochschwangeren Frau, ihr Kind in einem sauberen, warmen Raum zur Welt zu bringen, gab es nicht. Dass sie zumindest den Stall fanden, das Neugeborene in die Futterkrippe betten konnten, das war, sagen wir mal, Zufall. Dass es trotzdem überlebt hat, war Gottes Gnade.

Erbaulich war das nicht. Festlich war das nicht. Heiligmäßig schon gar nicht. Vermutlich hat es dort gestunken, nach den Tieren, nicht nach Zimt und Nelken.

Aber Gott ist zu uns gekommen, auch wenn wir ihn gern ignorieren, und er kommt immer wieder. Nein, falsch eigentlich: Er ist da! Wir müssen ihn nur neu sehen lernen. Er ist da in euren Nachbarn, schaut doch mal nach rechts und links. Er ist in euren Kindern, die noch Vorstellungskraft haben. Er ist in den Lichtern, die in ihren Augen strahlen, wenn ihr genau hinschaut. Er ist auch in den Obdachlosen, in den Flüchtlingen, er ist auch in denen, die sich heute betrinken, weil sie allein sind. Aber sie sind nicht allein, niemand ist allein, denn Gott ist bei jedem. Das bedeutet Weihnachten: Gott macht sich so klein, dass er bei jedem Unterschlupf finden kann, aber: Man muss es zulassen. Man muss ihn zu sich hereinlassen. Nicht als Puppe, als Idee, als Quelle und Ziel, als Aufgabe ..."

Die Stimme des Pfarrers war lauter geworden, heftiger. Nun hielt er inne, schaute zum Stall, zu den Menschen, zum Stall. Dann seufzte er und schloss in normalem Ton: "Jesu Geburt macht alles anders. Daher habe ich heute mal die Predigt an den Anfang gestellt. Nun soll der Gottesdienst normal ablaufen, und ihr könnt gern wieder an etwas anderes denken."

Er nickte dem Organisten zu und ging zu dem Pult, auf dem sein Buch lag.

© Brigitte Hutt 2019

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