Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Lichterkette

Die ich rief, die Geister ...* – oder: Alexa lebt

Was für eine fröhliche Weihnachtsgesellschaft. Sie sind mal wieder alle zusammen gekommen, zu Gans und Knödeln, zu Gesprächen und Spielen. Drei Generationen sitzen um den langen Tisch, und die Worte fliegen munter hin und her.

"Alexa, mach die Lichterkette an", kräht Sofia. Geschwister und Eltern lachen.

"Ich fürchte, da müssen wir schon selbst aufstehen", meint Robert, ihr Vater.

"Wer ist denn Alexa?", fragt Elisabeth, die Großmutter.

"Was, die kennst du nicht?" Fabian ist in seinem Element. "Das ist ein Sprachassistent. Gibt's bei Amazon. Dem kann man alles sagen, was er tun soll. Dann steuert er die ganze Wohnung. Und bei Apple heißt er Siri. Und ..."

"Dann aber Sprachassistentin. Ein bisschen sprachliche Korrektheit muss schon drin sein", wirft Ingrid ein, Roberts Schwester.

"Und bei Google ruft man einfach ‚Google, mach mal dies und das'", fährt Fabian ungerührt fort, um sich dann an seine Tante zu wenden: "Ist Google auch weiblich?"

"Warum denn nicht", sagt Sandra, seine Mutter, lachend. "Google, sei ein gutes Mädchen, hol Kaffee."

Die Großmutter schüttelt den Kopf. "Und das geht einfach so? Auch hier?"

"Na ja, die richtige Ausstattung muss man schon haben, also diesen ... Smart Speaker", ergänzt Fabian und macht eine vage Handbewegung ins Zimmer hinein. "Und Internet natürlich."

Die Großmutter schaut nachdenklich umher. "Also, zu Hause könnt ihr sagen ‚Alexa, mach Kaffee'?"

Die Kinder lachen. "Nein, das dann doch nicht. Sie macht nur das, was ... wie nennt man das, Papa?"

"Was einprogrammiert wurde, meinst du", antwortet Robert. "Und je nachdem, wie weit man seinen Haushalt da schon eingebunden hat, ist das eine ganze Menge."

"Alexa, kauf Plätzchen", ruft Sofia.

"Bestell Plätzchen", korrigiert Fabian, "liefern tut sie dann der Lieferdienst."

"Aha. Wie Essen auf Rädern", meint die Großmutter trocken. Die Kinder schauen sie erstaunt an.

"Quatsch", sagt Fabian.

"Doch!", meldet sich Sandra zu Wort, "eigentlich schon."

"Ich war froh, als ich noch selbst einkaufen gehen konnte", sagt die Großmutter leise.

"Man hat doch heute gar keine Zeit mehr!", ruft Sofia altklug.

"Oh Mann, Sofia, du immer mit deinen Sprüchen ..."

"Oh Mann, Fabi, du sollst nicht immer Mann zu mir sagen!"

"Und du nicht so rumbrüllen! Das scheppert ja in den Ohren!"

"He, he, he, langsam. Alexa, komm Streit schlichten", versucht die Mutter die Wogen zu glätten.

"Alexa, zünd den Baum an", ergänzt der Vater.

"Alexa, hol Plätzchen!", wiederholt Sofia.

"Bestell!", brüllt Fabian.

"Alexa, die Kinder brauchen eine kalte Dusche", stöhnt Ingrid.

Plötzlich öffnet sich die Zimmertür. Die Familie schaut erstaunt auf. Im Türrahmen steht eine Frau mit kurzen, dunklen Haaren und ein wenig starren Gesichtszügen. In der rechten Hand hält sie eine Kaffeekanne, in der linken einen Teller mit Gebäck. Mit mechanisch anmutenden Bewegungen stellt sie beides auf dem Tisch ab. Dann geht sie zum Fenster, schließt die Lichterkette an den Strom an, dreht sich zurück zur Tür und bringt eine Schüssel Wasser zum Vorschein, die sie über die Köpfe der Kinder ausgießt. Während die noch nach Luft schnappen und die Erwachsenen nach Worten suchen, hat die fremde Frau schon ein Feuerzeug in der Hand, dreht sich zum Weihnachtsbaum und hält die kleine Flamme systematisch an alle Zweige der unteren Ebene. Als der Baum brennt, verlässt sie das Zimmer und zieht die Tür sorgfältig hinter sich zu.


* Aus "Der Zauberlehrling" von J. W. v. Goethe


© Brigitte Hutt Januar 2019

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