Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Ostern

Vom Eise befreit ...

Was wäre eigentlich aus Dr. Faust geworden, wenn es am Ostersonntag geregnet hätte? Wenn es so richtig kalt gewesen wäre und der Himmel das Wasser in Kübeln ausgeschüttet hätte? Da wäre ein gelehrter Bücherwurm, trotz all seiner Gier auf Neues, sicher nicht aus dem Haus gegangen. Ungefähr so hätte es weitergehen können: Dr. Faust schaut in seiner Studierstube mussmutig aus dem Fenster oder doch lieber in die Bücher. Den Pudel trifft er nicht, denn bei solchem Wetter jagt man ja keinen Hund vor die Tür. So sagt es das Sprichwort. So vergeht Ostern, so gehen weitere Wochen, Monate, Jahre ins Land, und Dr. Faust fühlt sich immer weiter entfernt von seinem Ziel und Wunsch, Wissen zu erwerben und die Welt zu verstehen. Irgendwann beschließt er zu reisen, nicht gerade zu den Hexen, aber vielleicht in den Orient, der ja immer schon für alle denkbaren Mysterien stand. In einem fernen Land versucht er Drogen, versucht sein Bewusstsein zu erweitern, versucht sich an den dortigen Frauen und Mädchen, genießt ihre ganz eigene und ihm so neue Wesensart und kostet aus, was sich ihm bietet. Nach einiger Zeit hat er alle seine Ersparnisse aufgebraucht, sich tiefer und tiefer in seine Suche, in Drogen und Mädchen verstrickt, ohne doch zufrieden zu sein. Zuletzt verreckt er an den Folgen einer Syphilis. Niemand kennt ihn, niemand trauert um ihn. Auch wir nicht.

Was wäre aus Margarete geworden, wenn es am Ostersonntag geregnet hätte? Wenn sie sich beim Kirchgang unter Mantel und Kapuze verborgen hätte? Niemand sie bemerkt, niemand ihr Geschenke gemacht hätte? Ungefähr so hätte es weitergehen können: Sie geht, nein, eilt gesenkten Hauptes vom Dom nach Hause, zurück in ihren Alltag. Sie kümmert sich um den Haushalt und um ihre Mutter, ist brav und anständig und treu im Glauben. Irgendwann, Wochen, Monate, Jahre später, ehelicht sie einen ebenso braven Handwerker, gebiert ihm Kinder, mindestens vier, die sie in der rechten Religion zu guten Staatsbürgern erzieht. Ihr Ehemann gibt sein Bestes, die Familie zu ernähren, aber es gelingt ihm nicht gut genug. Er macht Schulden, setzt auf falsche Freunde, und aus lauter Frustration schlägt er Frau und Kinder. Er ergibt sich der Trunksucht, auf die seine Gattin nur mit Hilfe heißer Gebete an die Jungfrau Maria zu reagieren in der Lage ist. Im Lauf der Zeit wird sie alt, verarbeitet und hässlich. Ihre Kinder tragen sie zu Grabe, betrauern sie eine Weile und vergessen sie dann über den Mühen ihres eigenen Lebens.

Und Mephisto? Der hätte sich nicht im Pudel verstecken können, was dem Tier sicher recht gewesen wäre. Aber er findet immer einen Weg, dem Dr. Faust die Gier nach dem Kick tiefer und tiefer ins Herz zu pflanzen, ihm den Augenblick zu vermiesen, ihn zu treiben. Es gelingt ihm auch, Gretchen die Religion, das Gebet, den Kirchgang als einzigen Ausweg aus ihrem öden Leben zu zeigen, so dass sie unfähig ist, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen, ihren Ehemann in die Schranken zu weisen, ihre Kinder lebenstüchtig zu erziehen. Er schürt die Unzufriedenheit des Ehemannes unserer Margarete, seine Lust, sich an Frau und Kindern abzureagieren. All das ist Mephistos Lebensinhalt - wenn man bei ihm überhaupt von Leben sprechen kann. Es ist seine Existenzgrundlage. Vielleicht hat er an einem anderen Ostertag die Gelegenheit, einem anderen unzufriedenen Menschen als Pudel zu erscheinen, oder vielleicht steht er heute auf dem Schulhof und flüstert frustrierten Halbwüchsigen zu, doch mal was auszuprobieren, Bier, Gin, Ecstasy, Chrystal Meth oder U-Bahn-Surfen. Oder er lauert hinter dem Stuhl eines Präsidenten und führt ihm die Hand beim Unterzeichnen von Beschlüssen, die die Welt ins Wanken bringen können. Seiner Fantasie sind sicher keine Grenzen gesetzt.

Aber das Wetter war schön, und so konnte des Pudels Kern zum Vorschein kommen und Fausts Geschichte seinen Lauf nehmen. So, wie wir sie kennen und lieben. Gut, dass er so ist und nicht wir. Gut, dass es nur eine Legende ist.

© Brigitte Hutt zum Münchner Faustfestival, Ostern 2018

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